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38/18 – Mäander


Senda d’aua // Tropfen. Kleinste Wesenheiten. Unvorhergesehen. Wie Worte entstehen, sickern sie aus dem Berg. Rötlich. Ohne ein Geräusch. Am Anfang. Anfänge enden nie. Sie sind immer sich selber. Anfang, nichts anderes. Was endet ist das Ende. Wie beide zu ihrem Entschluss kommen, ist mir ein Rätsel. Rätsel sind so. Sie haben irgendwo einen Anfang und ein Ende. Das Rätsel aber bleibt. So wie der Berg. Berg ist immer Berg. Er fängt an und endet nie. Ich stehe auf ihm, manchmal vor ihm, umrunde ihn. Er fängt dort an, wo ich anfange zu gehen und endet dort, wo ich müde bin, mich hinsetze und nicht mehr denke. Hier fängt die Landschaft an. Es spielt keine Rolle, wo ich sitze. Das Hier ist kein Ort. Es ist ein Zustand. Eine unscheinbare Wirklichkeit. Eine Kraft. Maßlos. Unberechenbar. Fordernd. Alles zieht sie in ihr Jetzt. Keine Faser bleibt unerkannt und ausgelassen. Alles birgt sie. Alles enthält sie. Eine Obhut. Eine Leere. Den ersten sichtbaren Atemhauch in der Morgenkühle am Inn. Das ewige Rauschen. Die sich überholenden Lichtungen in der Strömung. Der Chor der Mücken. Er ist lichter geworden über dem Ufer. Blätter fallen. Rotgerändertes Gold. Herbsthimmelblau füllt den Leerschlag. Ich lese ihn nicht mehr. Er schlägt meine Seiten um. Liest in mir. Wirft meine Fragen auf. Die Vergänglichkeit. Wann fängt sie an und wann hört sie auf. Höre ich sie? Ihren Klang? Ihr Knistern in den Blättern? Das Rieseln der Lärchennadeln. Abermillionen feinster Stiche, in die Luft gewirkt, zu einem gelbleuchtenden Teppich ausgelegt, über den ich gehe, gehe und immer gehe und nie anfange und nie ende, in diesem Hier, durch das die Berge ziehen und der Inn, an dessen Rauschen ich sitze, das mich entbirgt, wie die Quelle, die sein Ufer ist, neben mir.
Source chamber // Sfondraz, Nairs

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