15/17 – la source
la source de la neige et le cygne // brouillon 3 // Wolkenparade // Im Blickfeld segeln Zeitschiffe.
la source de la neige et le cygne // brouillon 3 // Wolkenparade // Im Blickfeld segeln Zeitschiffe.
la source de la neige et le cygne // brouillon 3 // BergSummen // Die Zeit. Einsilbig. Ein Augenblick Fülle, ein Augenblick Leere und die Schatten einer Lücke.
Di 28. März 2017, 20:15 Uhr
Theater Tuchlaube Aarau
Mit: Andreas Neeser und Barbara Schirmer
Moderation: Manfred Papst, NZZ am Sonntag
Zytglogge Verlag, Basel 2017
ISBN 978-3-7296-0955-6
inkl. CD mit allen Geschichten, gelesen vom Autor
Venedig // Der nächste Atemzug ist längst vergangen. In langen Gassen stehen Stunden, Lücken, dessen Farben ausgesprochen, über den abgeblätterten Dächer liegen. Worte treiben aus der Nacht, das Leben und das Ziel. Wir waren.
Venedig // Regen und wo er nur Wasser berührt, kein Land, keinen Himmel, nur endliches Firmament, von wo die Tauben wiederkehren, der Postkartenengel mit seinen wehenden Flügeln, fächert Gold, Lichter und Tropfen bespielen den Tag, das Hologramm, die Welt ist fliessend, perlt und das Wort, frage ich lausche nach der Antwort, ein ganzes Leben lang.
cahier – première partie – brouillon 2 // Wo habe ich angefangen Wort zu sein? Das Unerschöpfliche zu beschreibenden, ein leeres Blatt Papier zu bespielen, mit Zeichen, die Welt bedeuten und Geist, der die Seele berührt und Nichts in Alles über geht? Wie viel Uferlosigkeit verträgt das Leben, das Menschsein, ich?
Es ist unendlich im Grund und unerschöpflich. Ein Perpetuum mobile. Ich eile. Die Tauben trippeln, die Blätter knistern, die Wintermäntel riechen feucht in der Wärme des Kaffees, die Fenster sind beschlagen, mit einem feinen Hauch. Paris, ein einziger Wirbel aus allem, in der ich die Stille nie verstehen werde. Und doch, Augenblicke finde ich, vielleicht in einem Gedicht.
Die Farbe schwebt über den Dächern. Ein Regenbogen. Die Dinge in der Zeit. Sie sind nicht mehr als das, was sie einem bedeuten und alles in allem, eine Gelassenheit. In diese gedankenleere Seligkeit löse ich mich, die Tauben und Möwen, die Stadt, alles, schon einmal in Worte gefasste.
Und wo die Gestalten in den Hügeln dahin ziehen, in dieser und jener Form, sie betten sich ein. Das Wasser tritt vom Himmel in die Augen. Die Blätter leuchten, die Tische, die Stühle, der kleine Pavillon. Die Sommergäste sind abhanden gekommen. Die Farben, die Clochards, die Spatzen, die Töpfe auf den Sockeln, die Königinnen, sie alle beschäftigen sich allein, für sich. Die Tauben trippeln, wirbeln mit dem Laub, werden von den Möwen und dem Laubbläser weitergeweht. Auch der Croissant ist herbstlich blättrig. Der Kellner verbreitet eine geschäftige Unruhe, obwohl keine Gäste auf ihn warten. Die Gäste sind nur Winde und die losen Gestalten einer Geschichte, einer Literatur entsprungen. Sie füttern die Tauben. Sie legen Brotkrumen unter die Tische, sie versammeln sich neben dem Blatthaufen, streuen die Blätter erneut aus, den Park, der sich füllt und leert.
Eine Wirklichkeit erlösen, die den Tag ausdehnt und Gräser. Das Grün der Seine, das Gelb, die Brücken sind nun Dächer für Schlafende, die Arkaden und Warenhauseingänge. Über den Lüftungsschächten trocknen Kleider, Decken und Tücher. Erste Lichterketten werden über Türen und Fenster moniert. Möwen kreisen. Der Gitarrenspieler hat sein Instrument gestimmt. Die Touristen fotografieren sich um die Notre Dame. Immer laufe ich jemandem in sein Bild.
Die Bäume sind nun rot, andere behalten ihr Grün. Sie dauern, wie der Verkehr und die Statuen auf den Zinnen. Die Rosen blühen in Vivianis Park. Manches scheint in sich verloren und zieht mit dem Passanten über die Wege hin und zurück. Es hat keine Sprache gefunden. Nur einen Beschrieb. Eine konzentrierte Zerrüttung.
Und diese kleinsten Regale im Kopf. Ich räume sie aus, baue ein weites Feld, das sich vor mir auftut, das seine Hügel aufwirft, über die ich später laufe. Rundherum. Nicht im Kreis. Die Engel und die Zeiten bleiben für sich. In allen Bereichen dieses Schweben, diese unüberbrückbaren Brücken und Kreise, dieses Gedicht, das wie Arme sich ausbreitet als wäre, als sei es alleinig und Trost in dieser Unbedachtheit, die ich bin, wie eine aufkreuzende Möwe. Übriggeblieben in einer kleinen Unbedeutsamkeit im Heute. Ich müsste eine Taube sein. Vielleicht. Der Anfang ist ein kleines Licht. Es hebt sich über die Seine. Es stolpert und knistert, wie die gelbgewordenen Blätter in Hemingway’s Bäumen.
cahier – première partie – brouillon 2 // Die Möwen auf den Dächern und Ufersteinen warten. Der Morgenhimmel ist ziseliert und der Wind blättert vor der Notre Dame. Erster Nebel liegt über den Bücherkästen. Ich versuche mich in Zusammenhängen.
Diese Stadt ist eine einziger Wirbel Menschen, Geschichten, Bilder und Bücher, vor allem von Bücher. Überall stehen sie, liegen sie, offen, in Regalen, in Kaffees, der Seine entlang, in Türmen, in Vitrinen, auf Bänken, in Händen und Taschen, über und unter der Erde, sie werden verborgen, transportiert, getauscht, geöffnet, geschlossen, neben sich gelegt, neben den Teller, die Nachtischlampe, die Kaffeetasse, den Stadtplan und …
… die Zeilen und Worte, Geschichten, Anfänge, Enden Protagonisten, Charakteren, Ideale, Kapitel, Szenen, Träume, Wünsche, Projektionen und Welten schwirren in und um unsere Köpfe, Schultern und um das Herz. Flirrende Zeilenschwärme. Sie umgeben die Menschen, Häuser, Monumente, durchziehen Museen, das Mobiliar, sie segeln durch die Strassen, hängen in den Bäumen und wispern um die Tauben. Sie durchdringen Mauern, überqueren Meere und Inseln, Dimensionen, Distanzen und das Denken. Sie sind nicht und doch. Sie fallen zwischen die Resonanzen, dort, wo sie hätten ankommen sollen. In ein Dazwischen, in einen Zwischenraum Zeit.
In diesem blättern die Clochards das Nichts in die kühle Luft, die Tauben picken es aus dem Kies, wischen es die Laubwischer am Morgen vom Kai, backen die Bäcker es in ihre langen Brote, nähen es die Näherinnen in die Säume der Schals, datieren es die Dichter in die Wolken. Die Engel lächeln. Sie umschwirren die Türme, die Kathedralen, die Ufer. Strassenmusiker besingen seine Zeit, die Passanten und Besucher. Es wird nie Enden mit den Worten, sagt Hemingway. Ich sehe ihn dem Ufer entlanggehen. Er schüttelt den Kopf und weiss nicht weiter. Er lächelt gelassen. Vielleicht ist es Erinnerung. Ein einzelnes Wort im Sinn. Die Tauben fliegen auf, ohne dass sie ihn gesehen haben. Tauben reagieren nicht auf Worte, die herumschwirren, sagt jemand. Die Tauben lächeln und picken weiter nach den gedankenverlorene Gedanken unter dem gefallenen Laub von Hemingway’s Bäumen.
cahier – première partie – brouillon 2 // Ich blanciere mit den Worten. Die Nichtigkeit schützt nicht davor, die Aufgabe nicht ernst zunehmenden. Das Leben glücken zu lassen. Seine Seiten zu öffnen. Das Mögliche auf der Rückseite des Unmöglichen zu lesen.
Ich bleibe in dieser Ecke sitzen. In einem viel zu kleinen Raum, in dem Menschen, Stimmen, Musik, Geklapper, Geblätter, Gedanken, Gelesenes, Geschichten und Geschriebenes zusammen finden. Ohne Absprache, in einem kurzer Augenblick, den der Zufall würfelt und der Wind wieder in alle Ecken der Welt verweht.
Das Alltägliche ist flüchtig in dieser Stadt. Es nimmt keine Form an, in seiner Vergänglichkeit. Diese Bedingtheit ist verstörend. Als würde ich in einem Weltkloster leben. In einer kargen Landschaf mit Monumenten, langen Broten und Strassen voller Bücher, Scones mit Weinbeeren, einem kühlen Wind, der durch die Ritzen stösst und Blätter blättert.
In welchem dieser Kapitel komme ich vor? Farbflecken liegen in den Zeilen und Zahlen, einige Punkte in einer unübersichtlichen Streuung. Und die Blätter von Hemingway’s Bäumen, die das Ufer gelbgold schmücken. Und diese rot umrandeten Fussspuren, die jemand über Nacht der Seine entlang zeichnet. Geisterseelen. Sie verlegen Worte. Sie lösen sie aus der Geschichte. Sie wiegen sie in den Armen und mischen sie den Schlafenden unter die Träume. Die Clochards unter den Brücken sind ihre Wächter. Sie hüten das Namenlose. Das, was sich nicht einfügt, in die vorgefassten Bahnen. Sie sitzen am Ufer und lesen die Luft, die Erde, die Menschen, die Spiegelungen. Sie lesen das Träumende, die Blätter aus Hemingway’s Bäumen, über die ich täglich gehe.
Der Regen verliert sich im Wasser. Die Zeit in mir. Der Menschen ist bunt. Das Fallen der Blätter auf die Welt. Das stete Knistern im Kopf. Wenn die Gedanken wegbleiben. Sie treiben auf der Seine und ich bin glücklich deswegen.
cahier – première partie – brouillon 2 // Die Möwen kreisen. Autos mit heulenden Sirenen fahren vorbei. Ich sehe sie nicht. Die Engel schon. Sie kennen mich und bleiben einwenig unsichtbar. Ich denke nicht, das Engel einen Auftrag erhalten. Engelsein ist ein Beruf und Inseln sind Pferde.
Über was habe ich noch nicht geschrieben? Über welche Lücke im Tag? Einen Alltag gibt es hier nicht. Vielleicht wird es nie einen geben. Er erübrigt sich. Die Rituale mögen blieben. Eine Stille liegt in ihnen. Was sich sonst auflehnt, verwischt. Ich versuche mich einzulassen, auf das, was ich wahrnehme, in meiner Lückenhaftigkeit. Und in die Dinge eintauchen. Wie sehr es auch berührt. Ich bin aus der Zeit gefallen und sie hält mich mit einem Faden fest.
Die Taube setzt sich zu mir. Ich teile mit ihr meinen Croissant. Der alte Mann verlässt immer zur gleichen Zeit das Kaffee. Ich verliere den Faden. Meine Taube. Mit dem nächsten Croissant wird sie wieder da sein. Die Engel. Sie haben sich verschlafen im Park. Aufgeregt schieben sie die tiefhängenden Wolken zueinander. Ich falte mich. Die Blätter. Das Hologramm springt auf. Es träumt sich Stückweise in einen Ozean. Eine Milchstrasse führt zu ihm hin und andere Brücken. Die Nacht ist nicht dunkel. Die Gräser glühen und Vögel wehen über mir einen Kreis. Unter diesen Bedingungen zu atmen ist nicht leicht. Der Druck von Himmel auf das Wasser ist gross. Dieser Übergang. Die Engel wippen mit den Fliederrispen. Die Glocken läuten. Die Sonnenschirme werden geöffnet und die Tische zu den Stühlen gerückt. Die Taube wartet auf ihre Gäste, trippelt zum Gehsteig hin und zurück. Ihre Flügel schimmern, wie Engel schimmern und warten, nach Flieder oder Lavendel duftend.
An Wochenenden läuten die Glocken eine Melodie, bis die Sonne kommt, dann sind sie abgelenkt. Im Schatten setzen sich keine fremdem Leute zu mir, nur die Taube. Der Faden. Er taucht in die weisse Landschaft und an anderer Stelle wieder auf. Wie der Engel oder die Taube. Sie haben viel Arbeit heute. Sie schieben die Sonne langsam hinter die Bäumen und zu einer freien Stelle. Ein Vater schimpft mit der Tochter. Sie legen Bücher aus, Bücher auf die Tische, neben den Kaffee. Der Salat wächst noch immer am Strassenrand. Er ist gross geworden. Die Taube scheint ihn nicht zu mögen. Die Gäste essen hier am Morgen Kuchen. Der Engel rüttelt am Tisch und schiebt die Sonne ein Stücke weiter. Er breitet seine Flügel aus. Die Bettlerin durchsucht den Abfallkorb. Ein schwarzer Hund geht auf und ab.
Engel sind nicht der Phantasie oder Vorstellung entsprungen, aber sie kommen da vor.