O1/E7
18//Oktave Das Bild. Nichts erscheint nur so, wie wir es sehen, sagte Anna. Es war eine alte Fotografie, die sie zwischen den Seiten ihres Buches hervorgezogen hatte und nun in der Hand hielt. Ein Karussell auf einer Waldlichtung. Ein Karussell mit Pferden und Kutschen. Vielleicht Parkbäume, sagte ich. Anna nickte. Die Zuschauer. Damen mit grossen Hüten in weissen, schwarzen langen Kleidern. Die Herren in schwarzen Fräcken, Anzügen und mit Spazierstöcken. Kinder rennen auf die Lichtung. Auf ihren Rücken die Schultornister. Jemand hatte ein Fahrrad in die Menge geschoben. Links im Bild ein Gartentisch und ein Gartenstuhl. Es ist Sommer, sagte Anna, die Bäume haben Blätter. Ich nahm Anna die Karte aus der Hand und löste an der linken oberen Ecke das auf die Rückseite geklebte Papier. – als wollte jemand eine wichtige Nachricht verbergen. 1913, Taunusanlage, las ich zwischen den Blättern. Wir befinden uns in Frankfurt am Main. Das da, sagte Anna und deutete mit dem Zeigefinger auf ein kleines Mädchen. Das da, bin ich.
T2/E5/L
14/ Im Leerschlag der Zeit. Man sollte sich entspannen, auch wenn die Spannung wächst. Erwarten sollte man nichts, sagte Laotse, ohne das Tun tun. Ich tat und tat nichts. Das Blatt blieb leer. Über die Leere nachzudenken, ohne sie mit Denken zu füllen, war ein aussichtsloses Unterfangen. Fing ich an, ein ihr entsprechendes Wort zu finden, war die Leere nicht mehr Leere, sondern dieses Wort, das ich für sie erfand. Finde ich die Leere leer, suche ich nach dem, was sie ausmacht und hält. Sie wäre unendlich, würde ich sie nicht erfassen wollen und in meinem Verstand wäre es ruhig. Ein Ton nur, vielleicht. Vielleicht wird es geschehen, dass ich aus dem Fenster schaue, in den grauen Himmel und denke; der Himmel ist grau, ich sehe das Grau des Himmels und im selben Augenblick erinnere ich mich daran, dass nicht der Himmel grau, sondern die Wolke, die den Himmel bedeckt, grau war und auch dies würde nicht genau dem entsprechen, wie es ist. Es waren viele Wolken und diese wurden vom Wind in eine Richtung bewegt. Himmel bewölkt. Grau. Und ich schreibe. Himmel sind blau.
E4/R1
26//Die Regenmaschine. Ein kleiner Knopf, rot, an der unteren Seite der Schachtel, setzte sie auf Druck in Bewegung. Ein ferner Rosengarten wird bewässert. Der Mann am Strassenrand spielte Luftharfe. Ich öffnete den Regenschirm, obwohl ich nie einen solchen mit mir herumtrage und hielt ihn über den Rinnstein. Wie Wassertropfen zerplatzten die Töne in meinen Ohren und hinterliessen den Eindruck, ich hätte sie gehört. Der alte Mann zwinkerte mir zu. Nichts ist Illusion, sagte er zu mir und spielte weiter. Die Zuhörer drängten sich näher. Sie sind wie Tauben. Picken nach allem, was nach einem Brotkrumen aussah und hörten sie doch nicht. Der Mann neigte den Kopf zu Seite, hob die linke Hand und zupfte die Saite mit der Rechten: Ave Maria. Die Tauben trippelten über den Domplatz. Ich fütterte sie, doch sie assen nichts. Sie kannten das Wort „Brot“ nicht. Und ein Mensch schrieb „Rose“.
T1/E3
129// Wendeltreppen. …doch, Tage und Nächte habe ich notiert. Die Sprache in eine elektronische Maschine übertragen. In eine andere Welt. Das Geräusch. Der Rhythmus des Denkens ist ein anderes. Ein anderes Leben, mein Leben, dein Leben. Und zwischen ihm die Vögel. Nachtflug. Die Zeit entgleitet. Windwechsel, Seitenwechsel, die Einsicht in die Tiefe dessen, was fliegt. Dort, schwebend der Geist in allen Dingen. Ich zähle die Augenblicke zur Zeit. Die Stille überwiegt. Dichter Nebel. Meine Erinnerung. An Sommer gedacht, an Dächer und die Tauben auf dem Fensterbrett. Was hatte man zurückgelassen? Auf eine Reise mitgenommen? Zuhause, dachte ich, sei dort, wo ich stehe. Liebe, so dachte ich, sei da, wo ich liebe. Ich steige Treppen.
E2
154// Nachtzeppelin. Einen Anker setzen. Über den Ufern schwebt der Nebel. Das Licht, sanft neigt es sich über Schilfrohre. Wellen wiegen sie. Ich hatte nicht an die Form gedacht, die festlegt, was schwebend im Weiss entschwindet.
E1
135//…es ist nicht weit nach Eden…
meer
-Liegestunden-…man lacht, trocknet das Salzwasser vom Körper und legt sich hin. Etwas scheint in dauernder Bewegung zu sein, auf der Lauer, den Augenblick einer Unaufmerksamkeit in der Konzentration auf das Nichtstun abwartend. …man schweift ab, verliert den Anfangssatz aus den Augen; das Bild einer Frau. Sie sass im Sessel der Rezeption in der Eingangshalle. Vor ihr auf den Glastisch einige Journale, Tageszeitungen, Fachzeitschriften. Flüchtig gleitet ihr Blick über die Abbildungen und Schlagzeilen; Einblicke in fremde Leben fremder Menschen, fern dieses Ortes. Wir befinden uns auf einer Insel ohne Natelverbindung, ohne Internetanschluss. In der Eingangshalle war es angenehm kühl. Ein Windzug bewegte die Gardinen. Soll ich ihnen etwas bringen? Sie nickte. Wasser, einfach Wasser und einen Kaffee. Bitte. Ihre Stimme war leise, aber bestimmt. Aus dem Garten hörte man die Zikaden schreien. Heute wird es sehr heiss werden, sagte die Signora und stellte das Tablett mit dem Kaffee und dem Glas Wasser vor sie auf den Tisch. Sie nickte. Das bedeutet wenig Gäste heute. Sie nickte wieder, drehte ihren Kopf, als wolle sie ein Zeichen geben, dass sie nicht beabsichtige, das Gespräch weiter zu führen. Wo war sie stehen geblieben?